Unser Wochenende in Auckland verbrachten wir damit, uns neu zu orientieren, nochmal eine Runde Wäsche zu waschen und eine neuseeländische Sim-Karte für mein Handy zu besorgen – natürlich aber ließen wir es uns auch nicht nehmen, zwei der hervorragenden Restaurant-Empfehlungen unseres Barkeepers vom ersten Abend zu folgen und uns den Sonnenuntergang vom Skytower aus anzusehen. An einen Tag fuhren wir auch mit der Fähre nach Waiheke, einer kleinen vor Auckland liegenden Insel, die von Strand und Weingütern geprägt ist. Da uns bei den Temperaturen – trotz Sonnenschein – nicht wirklich nach einem Sprung ins kalte Meer war, besuchten wir mehrere Weingüter und nahmen an Verkostungen teil. Ein entspannter und weinseliger Tag auf einer gemütlichen Insel und eine tolle windige Schiffsüberfahrt, die uns so richtig durchpustete!
Als sich unsere Zeit in Auckland dem Ende näherte, wurde ich immer nervöser. Während wir die Zeit in Hawaii gut durchgeplant hatten, viele Highlights bereits vorneweg gebucht hatten und vor Ort nicht allzuviel recherchieren mussten, wussten wir für die kommenden 3 Wochen nur eins: Wir hatten einen Camper gebucht und würden mit diesem irgendwie von Auckland nach Christchurch reisen. Wir kannten weder unsere genaue Route noch unsere erste Station, an der wir nach der Übernahme des Campervans landen wollten. Eigentlich hatte ich grob geplant, zunächst die Coromandel Halbinsel mit ihren schönen Stränden anzupeilen, doch da gab es nun ein Problem: „Hola“, ein großer Wirbelsturm, bewegte sich gerade zielstrebig auf Coromandel und die Nordostküste der Nordinsel zu und warf damit auch diese spärlichen Pläne um. Nun war wohl unsere Spontaneität gefragt!
Auf und davon
Wir beschlossen, den Wetterbericht verfolgend, dem Sturm davonzufahren und den Weg in den Südosten einzuschlagen.
Am Montag endlich den Camper abzuholen war wirklich aufregend. Was würde uns in den nächsten Wochen erwarten? Würden wir uns wohlfühlen? Würden wir schöne Orte finden, um zu übernachten? Oder würde uns das Leben auf kleinstem Raum auf die Nerven gehen und auf die Stimmung schlagen?
Als wir auf den Hof unserer Camper-Vermietung fuhren, zog der Himmel bereits zu und bei der Übergabe begann es zu regnen… was für ein Start! Doch schon die ersten Meter, die wir im Linksverkehr fahrend in unser neues Abenteuer starteten, fühlten sich richtig cool an. Im Supermarkt füllten wir unseren kleinen Kühlschrank mit einigen Vorräten – neuseeländischem Wein, israelischem Couscous und australischem „Victoria Bitter“ Bier. Wir stellten beim Einpacken aber auch fest, wie wenig Stauraum unser Camper bot. Wo sollten wir denn nur all unsere Sachen unterbringen und hier auch noch essen, wohnen und schlafen? Eine wahre Herausforderung!
Es regnete in Strömen und der Weg aus Auckland heraus war grau, nass und bot keinerlei Aussicht, die mich von meiner Mission, eine Unterkunft für die Nacht zu finden, hätte ablenken können. Somit waren meine Augen abwechselnd auf die kniffligen Situationen im noch ungewohnten Linksverkehr oder die App „Campermate“ geheftet, mit der ich uns hoffentlich einen netten Campingplatz finden würde. Doch irgendwie drehte ich mich im Kreis. Alles schien zu überlaufen, zu teuer, zu weit… bis ich endlich eine Idee hatte!
House on the hill
Schon in Deutschland hatte ich über die App „Campable“, in der Privatpersonen Platz auf ihrem Grundstück an Camper vermieten können – also so etwas wie Airbnb für Camper – einen Ort gefunden, der sich „House on the hill“ nannte. Ein Hof, der einem Pärchen mit drei Kälbern, zwei Hunden und einigen Hühnern gehörte. Klang sympathisch und die Lage auf einem Hügel versprach schöne Ausblicke. Daran war zwar bei dem aktuell tristen Himmel gar nicht zu denken, doch ich hatte keine andere Idee und reservierte so für 20 Neuseelanddollar online diesen Stellplatz für die erste Nacht.
Endlich verließen wir den großen Highway, unser Weg führte nun durch sanfte Hügel, dichte Wälder und verträumte Täler, in denen der Nebel zwischen den Baumwipfeln hing. Vorbei an Rindern und Schafen bahnten wir uns unseren Weg durch die Berge und als wir schließlich über einen Schotterweg auf den Hof und das „House on the Hill“ zufuhren und uns noch fragten, wo wir hier unseren Camper abstellen durften, kam ein großer, schlacksiger Mann in braunen Pantoffeln aus dem gelben Haus und winkte uns zu. Tom, dem mit seiner Frau Hannah der Hof gehörte, empfing uns mit freundlichen Augen und einem kräftigen Handschlag und wies auf den ein Stück neben dem Haus liegenden Hügel. Dort würden sich die Camper gern hinstellen, da man von oben einen schönen Blick über das Tal und bis hinunter zum Hafen hatte. Ich äußerte meine Bedenken, ob wir mit unserem Camper den eventuell etwas matschigen Hügel nach all dem Regen hinaufkommen konnten, doch er winkte ab. Er würde uns kurz den Hügel und die Zufahrt zeigen und dann könnten wir einfach hinauffahren. Tom sagte, er hätte gerade Besuch von seinem Nachbarn, mit dem er ein paar Bier trinken würde und wir könnten gern dazukommen, doch wir wollten uns in unserem Camper einrichten, zum ersten Mal kochen und unseren ersten Abend in unserem neuen „zu Hause“ genießen. Dafür mussten wir aber zunächst noch den Hügel hinauf… was sich etwas schwieriger gestalteten sollte, als erwartet!
Berrys Mission
Der Hügel war vom Regen aufgeweicht und voller Kuhfladen, und bei den ersten Versuchen, hinaufzufahren, bei denen ich wild gestikulierend und winkend im Regen um den Camper herumsprang, um Mr. Incognito Anweisungen zu geben, drehten die Räder durch, der Schlamm wirbelte durch die Luft und ich sah hilflos zu, wie sich unser Camper immer mehr in die Kuhfladen und den matschigen Boden einzugraben schien. Eine Weile lang versuchten wir unser Glück, immer wieder nahm Mr. Incognito Anlauf, doch die Zufahrt wurde immer zerwühlter und ich langsam immer nasser und verzweifelter. Vielleicht sollten wir einfach auf die tolle Aussicht verzichten und uns auf die Zufahrt vor Toms Haus stellen, bevor wir uns völlig festfuhren?
Plötzlich kam ein gedrungener Mann mit braunem Schlapphut aus Toms Haus, marschierte mit seinen dicken Schuhen breitbeinig auf mich zu und sprach mich mit rauhem aber freundlichen Ton an. Der Kerl, der helle blaue Augen hatte, schien irgendwie durch mich hindurchzusehen. Schnell wurde mir klar, dass es Toms Nachbar zu sein schien, der uns helfen wollte, und dass er anscheinend auch deswegen kaum für mich zu verstehen war, weil er nach einigen Bieren wohl nicht mehr ganz nüchtern war. Berry, wie er sich vorstellte, versuchte es zunächst mit Ratschlägen und erklärte immer wieder lallend, wie wir nur mit etwas mehr Schwung ganz einfach die Fahrt auf den Hügel schaffen würden. Währenddessen flitzte seine winzige Hündin Ella aufgeregt und unentwegt kläffend um unsere Füße oder vor dem Camper hin und her. Auch der nächste Versuch schlug fehl und nun traten auch Tom und seine Frau wieder aus dem Haus und gesellten sich zu uns. Alle versuchten nun, während es weiter in Strömen regnete, freundlich und geduldig einen Weg zu finden, wie wir unseren Camper auf den Hügel bekommen konnten… Berry, der meiner Meinung nach eigentlich hinter kein Steuer mehr gehörte, holte seinen Wagen. Neben mir angekommen, bremste er sein kleines weißes Auto ab, senkte seinen Kopf, sah mir tief in die Augen, und sagte sehr langsam und bestimmt: „I help you. I will come and help you.“ Dann verschwand er mit seinem klappernden Wagen die Schotterpiste hinunter vom Grundstück. Den würden wir sicher nicht wiedersehen. Ich stellte mir vor, wie er den Wagen auf seinen Hof fuhr, die Stiefel von den Füßen streifte, sich auf ein altes Sofa warf und schnarchend einschlief. Doch keine 5 Minuten später hörten wir ein lautes Knattern… Unglaublich! Da kam Berry auf einem großen roten Traktor um die Ecke gepoltert und war wohl fest davon überzeugt, dass er uns nun damit auf den Hügel ziehen konnte. Ich lachte, konnte aber eigentlich gar nicht hinsehen… ob der Kerl wusste, was er da tat?
Let me drive
Hannah, die sich inzwischen zu mir gesellt hatte, sah mir meine Nervosität wohl an. „Berry is an engineer, if that helps…“ raunte sie mir mit einem Augenzwinkern zu, während Berry schon halb im Schlamm unter unserem Van hing, um nach einem Haken zu suchen. Ich atmete durch. Na also. Er wusste, was er tat uns es würde bestimmt alles gut werden. Während nun alle drei Männer versuchten, irgendwie ein Seil an dem Camper zu befestigen, ließ ich mich also von Hannah in Smalltalk verwickeln und nur allzugern ablenken. Doch auch der Plan mit dem Traktor schien nicht zu funktionieren, da sich einfach keinen Abschlepphaken an unserem Camper finden ließ.
So langsam schien auch Berry mit seinem Latein am Ende und sah uns nun beide an. „Let me drive.“ sagte er dann ganz langsam und betonte jede Silbe – es schien, als wäre ihm durchaus bewusst, wie wahnsinnig das in unseren Ohren klingen musste. Er wiederholte es nochmal und versicherte uns, dass er hier schon unzählige Mal hochgefahren sei und es ohne Probleme schaffen würde. Seine Verbissenheit, uns unbedingt auf diesen Hügel bringen zu wollen, imponierte mir, und da er trotz anscheinend beeindruckendem Pegel so ruhig, zuversichtlich und freundlich war, willigte ich nach kurzem Zögern schließlich ein. Hoffentlich war das kein Fehler!
Berry sprang in unseren Wagen, setzte zurück, ging dann ordentlich aufs Gas und bretterte schließlich mit einem solchen Schwung den Hügel hinauf, dass ich – bereits die Arme zum Jubel in dieLuft gestreckt – für einen Moment glaubte, er würde auf der anderen Seite direkt wieder hinuntersausen. Doch er blieb stehen und es war tatsächlich geschafft! Wir applaudierten und ich lief auf Berry zu und deutete lachend eine Verbeugung vor ihm an. Wir bedankten uns bei ihm und verabschiedeten uns von Tom und Hannah, die nun zurück in ihr Haus gingen, um zu essen. Endlich konnten wir nun in den gemütlichen Teil des Abends starten. Wir streiften uns die nassen und verschlammten Schuhe von den Füßen, krochen in unseren Van und stießen mit einem eiskalten Bier auf die ersten überstandenen Herausforderungen als „Camper“ an – und auf alle noch vor uns liegenden Abenteuer in Neuseeland.
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