Schon als wir mit Sack und Pack aus dem Flughafen Ayers Rock hinaustraten und uns fragend nach dem Bus umsahen, der uns hier abholen sollte, wurden wir von der sengenden Hitze des „Red Centers“ und einigen Fliegen begrüßt, die sich direkt auf uns stürzten und uns umschwirrten. Dass dies nur der Anfang war, würden wir sehr bald bemerken…

Der kleine Flughafen schien sich nach unserer Ankunft schnell zu leeren und immer noch sahen wir niemanden, der gekommen war, um uns für unseren dreitätigen Campingtrip einzusammeln. Da wir keine weiteren Instruktionen hatten, blieb uns nichts weiter als zu warten, die Fliegen wegzuwedeln und zu hoffen, dass bald ein Bus für uns käme – ein wenig kam ich mir an dem staubigen Flughafen vor wie vor einem verlassenen Saloon einer Western-Szenerie. Ob uns der Veranstalter vergessen hatte? Während wir also die ankommenden Busse musterten, trat plötzlich eine kräftige Frau mit breitkrämpigem Hut, Sonnenbrille und khakifarbenem Hemd in breiten Schritten auf uns zu. Irgendwie hätte es mich auch kaum gewundert, wenn sie Sporen an ihren Stiefeln und Kautabak zwischen den Zähnen gehabt hätte. Es war „Susan“– unser Guide, unsere Busfahrerin und gute Seele für die nächsten Tage. Sie begrüßte uns knapp und zeigte uns den Bus mit Anhänger, in den wir unser Gepäck einluden. Als letzte der neunköpfigen Reisegruppe kletterten wir in den Bus und waren direkt erleichtert, als uns viele nette Gesichter ansahen. Die Fahrt in unser Abenteuer konnte beginnen!

Susan warf den Motor an, wir hielten unsere verschwitzten Gesichter in die kalte Luft der Lüfter, der Bus quäkte und piepte laut und Susan, die wir über ein Intercom gut überall im Bus verstehen konnten, kommentierte das nur mit einem „Oooooh come oooon, shut up!“

Susan, die ich in Gedanken „Mrs. S.“ taufte, da sie mich an die Figur aus „Orphan Black“ erinnerte (sicherlich hatte sie auch immer irgendwo ein Gewehr griffbereit), fuhr uns also die nächsten zwei Tage durch die Ödnis des australischen Outbacks. Roter Sand, Gestrüpp, Grasbüschel, soweit das Auge reichte. Doch immer wieder bremste sie auch ab und zeigte uns Rinder, die über die Straße liefen, freilebende Pferde, Kamele und schließlich: unseren ersten Dingo! Dieser kauerte mit recht kümmerlichem Gesichtsausdruck am Straßenrand, verrichtete dort sein Geschäft und fühlte sich augenscheinlich etwas beobachtet von dem Bus voller Touristen. Susan brach in ein rauhes Lachen aus: „Look at him! I swear, that´s the first Dingo I´ve ever seen pooing!“

What a woman!

Wir hielten kurz an einem kleinen Shop mitten im Nirgendwo, um uns Wasser und Eis, bei einem weiteren, um uns ein paar Bier für den Abend zu kaufen. Beim nächsten Stopp hieß es nun Feuerholz sammeln! Doch kaum waren wir aus dem Bus gestiegen, machten wir zum ersten Mal Bekanntschaft mit den wirklich penetranten Fliegen des australischen Outbacks – dagegen waren die Fliegen am Flughafen ein Witz gewesen! Die fiesen Fliegen kamen in Schwärmen und steuerten anscheinend gezielt auf Nase, Mund und Ohren zu… setzten sich direkt auf die Lippen oder versuchten in die Nasenlöcher zu kriechen. Wir fluchten und wedelten und fluchten erneut (mit möglichst geschlossenen Mündern) – unsere Fliegennetze, die wir vorsorglich auch in Sydney gekauft hatten, waren natürlich gut verstaut im Anhänger des Busses irgendwo tief vergraben in unseren Taschen. Also blieb mal wieder nur wedeln, wedeln, wedeln!  Es war kaum brauchbares Feuerholz an der Stelle zu finden, an der wir gehalten hatten, also ordnete Susan den Rückzug zum Bus an. Doch ich wollte mich nicht so leicht geschlagen geben und entdeckte tatsächlich ein Stück weit vom Bus einen halben Baum, der umgeknickt in der Wiese lag – genau so groß, dass ich ihn gerade noch aufheben und ihn heroisch über meinem Kopf schwenkend zurück zum Bus tragen konnte. Susan lachte: „Look at her – what a woman!“ rief sie aus und nahm mir dann den Baumstamm ab, um ihn hinten auf die Ladefläche des Anhängers zu werfen. Das Lagerfeuer war schonmal gerettet!

Der erste Abend galt dem Säubern des Anhängerinhalts, über den sich während der Fahrt eine halbe Flasche Öl ergossen hatte, dem gemeinsamen Kochen und Kennenlernen. Nach etwas chaotischem Rumgeschnibbel gab es dann tatsächlich irgendwann „Butter Chicken“ mit Reis und Gemüse, anschließend saßen wir beim Lagerfeuer zusammen, betrachteten den sagenhaften Sternenhimmel und rösteten Marshmallows. Unsere Gruppe, die neben uns aus zwei weiteren deutschen Pärchen, einer Engländerin, einem Australier und einer Neuseeländerin bestand, war eine wirklich nette Runde, verstand sich auf Anhieb gut und die Stimmung war entspannt. Wir übernachteten in kleinen Zweibettzelten und Susan wies uns nocheinmal darauf hin, nicht unsere Schuhe draußen stehen zu lassen, da diese mit Vorliebe von den Dingos zerfetzt wurden.

Im Dunkeln krochen wir am nächsten Morgen aus unseren Zelten – um 5 Uhr waren alle Taschen wieder im Anhänger verstaut, wir frühstückten, rollten uns Wraps für unsere Lunch-Pause und brachen zu unserer ersten Wanderung am Kings Canyon auf… Während wir im Bus zum Startpunkt der Wanderung zuckelten, erwachte der Morgen in blassem Gold über dem Red Center. Kurz vor unserem Ziel ließ uns Susan jedoch wissen, dass wir anscheinend einen Platten hatten und sie uns somit nicht mit auf die Wanderung begleiten konnte, da sie sich um den Bus zu kümmern musste. Glücklicherweise war aber auch eine andere Gruppe des Veranstalters an diesem Morgen hier unterwegs, so dass uns Susan nun nur noch kurz zusammentrommeln wollte, um uns an einen anderen Guide zu übergeben.

BlockBlock am BusBus – bei 35 Grad war jeder Schatten willkommen.
Where is Mr. Incognito?

Vor unserem Bus stehend zählte sie immer wieder durch, schien aber noch jemanden zu vermissen. „Where is your partner?“ rief sie plötzlich in meine Richtung. Da sie eine große dunkle Sonnenbrille trug und ich nicht sehen konnte, wen sie ansah und Mr. Incognito zudem direkt neben ihr stand, fühlte ich mich jedoch nicht angesprochen. Sie sah sich wieder suchend um. „Where is your partner?“ fragte sie erneut in meine Richtung. Ich sah sie fragend an – im selben Moment drehte sie sich zu Mr. Incognito und zuckte kurz zusammen: „There you are! Where have you been?“ Dass Mr. Incognito die ganze Zeit regungslos direkt neben ihr gestanden hatte, konnte sie zunächst kaum glauben und blickte ziemlich verdutzt drein. Dann brachen wir alle gemeinsam in ein großes Gelächter aus. Wie sie ihn so dermaßen hatte übersehen können, war wirklich allen ein Rätsel!

Von da an fragte sie immer wieder bei den unterschiedlichen Stops nach Mr. Incognito und es wurde geradezu zum „Running Gag“ unseres gemeinsamen Campingtrips, dass sie ihn nun immer mal wieder absichtlich übersah und erstaunt nach ihm fragte. Immer mehr ließ uns die raue Susan auch ihren weichen Kern erkennen und durch ihre harte Schale blicken. Sie war eben nicht nur die starke Frau, der die ständig um ihr Gesicht surrenden Fliegen rein gar nichts auszumachen schienen, sie stand auch wie wir staunend unter den Sternen, blickte verträumt ins Feuer oder wischte sich beim Sonnenaufgang ein Tränchen aus dem Augenwinkel – natürlich nur, weil sie zu lange in die Sonne geblickt hatte…

Während Susan unseren Bus wieder fahrtauglich machte, erklommen wir mit unserer Gruppe, dem anderen Guide und seiner Crew zunächst den „Heart Attack Hill“ (den sie wohl so nannten, da man nach dem Aufstieg einen Defibrilator oben vorfand) und stapften dann durch die rote Felsen. Tiefe Schluchten und weite Ausblicke boten sich auf dem Weg ebenso wie ein überraschend grünes Tal, durch das ein kleiner Bach floss und in dem wir eine Pause im Schatten der steilen Felswände einlegten, um etwas Wasser zu trinken und einen Müsliriegel zu essen.

Mit den steigenden Temperaturen nahm auch nach und nach wieder die Anzahl der Fliegen zu, gegen die Wedeln allein nicht zu helfen schien. Wir kapitulierten, zogen uns unsere Fliegennetze über den Kopf, lachten über diesen „schicken“ neuen Fashiontrend und waren froh, sie so zumindest ein wenig auf Distanz halten zu können.

„Say Uluruuuuuuuuu!“

Den weiteren Tag über erkundeten wir die Gegend um die „Olgas“, eine rote Felsformation, ähnlich beeindruckend wie der Uluru selbst, den wir zum Sonnenuntergang besuchten. Susan hatte zwei Flaschen Prosecco und einige leckere Snacks eingepackt, mit denen wir uns bei guter Sicht auf den rot glühenden Uluru um einen Tisch platzierten und auf den Sonnenuntergang warteten. Die Stimmung wurde mit jedem Schlückchen etwas ausgelassener und alberner und wir schmiedeten Pläne, wie wir wohl nach den doch recht knapp bemessenen zwei Flaschen Prosecco für alle an weitere Drinks kommen konnten. Uns einfach unter eine der anderen Tourigruppen mischen und heimlich bei ihnen mittrinken? Ihnen ein Gläschen gegen ein Foto mit dem Uluru abschwatzen? Wir kicherten und alberten herum, machten Selfies mit dem roten Monolith während wir „Uluruuuuuuuu“ sagten und Susan sprang immer wieder mit Grimassen in unsere Fotos. Die Stimmung war ausgelassen und fröhlich und als uns einige Japaner einer anderen Reisegruppe baten, ein Foto von ihnen zu machen, ließen wir auch diese brav „Uluruuuuuuu“ sagen, während wir ein Foto von ihnen knipsten und über unseren neu kreierten Trend lachten.

Am Abend im Camp waren alle erschöpft, verschwitzt und müde. Und da sich auch weit und breit kein weiterer Sekt oder auch nur ein Dosenbeir auftreiben ließen, freuten uns über leckeres Kängurufleisch vom Grill und eine heiße Dusche und krochen dann alle in unsere „Swags“– große Schlafsäcke mit eingebauten Matratzen, mit denen man gut draußen unter den Sternen schlafen können sollte. Nachdem wir die Swags ordentlich ausgeklopft und auf mögliches Getier untersucht hatten, suchte sich jeder ein Plätzchen inmitten unseres Camps und dann wurde es plötzlich ganz still. Ehrfürchtig lagen wir unter dem unglaublich klaren Sternenhimmel und während ich in den funkelnden Himmel blickte und auf Sternschnuppen wartete, fielen mir irgendwann die Augen zu und ich erwachte erst wieder, als der Mond so hell auf unser Camp schien, dass ich glaubte, jemand leuchte mir mit einer Taschenlampe ins Gesicht. Ich betrachtete den Sternenhimmel, der sich in den letzten Stunden über mir bewegt hatte, hörte die anderen leise im Schlaf schnaufen und kuschelte mich nochmal tiefer in meinen Schlafsack. Bald darauf war ich wieder eingeschlafen.

Here comes the sun… again!

Auch am nächsten Morgen rollten wir uns wieder gegen 5 Uhr schlaftrunken aus unseren Schlafsäcken… der Sonnenaufgang am Uluru war der erste Programmpunkt des Tages und die Sonne wartete schließlich nicht! Susan trieb uns immer wieder an und so war schnell gefrühstückt und alle saßen kurz darauf mehr oder weniger sortiert wieder im Bus. Susan hatte einen schönen Punkt ausgesucht, von dem aus wir den Sonnenaufgang neben dem Uluru sehen würden und wir betrachteten noch etwas verschlafen und still, wie sich der Himmel golden und rötlich verfärbte und am Himmel übergroß und hell der Merkur leuchtete. „Here comes the sun“ sagte Susan dann leise und die ersten Sonnenstrahlen krochen über den Horizont. „This is our holidaysong“ flüsterte ich zu ihr herüber und sie sah mich erstaunt an. „Here comes the sun?“ fragte sie. Ich nickte. Kurz darauf tönte der Song aus Susans Handy und sie blinzelte mir zu während die Sonne immer mehr zum Vorschein kam. Alle standen schweigend da, wippten oder summten mit und sahen zu, wie der Tag erwachte. Ein wunderbarer Moment und ein schönes Gefühl, wie uns auch hier unser Urlaubslied wieder begegnete und sich weiter mit schönen Erinnerungen auflud. „This is the reason, why I love my job.“ sagte Susan leise und fügte hinzu, dass sie immer, wenn sie einen Sonnenaufgang sah voller Dankbarkeit sei, dass sie einen weiteren neuen Tag geschenkt bekam. Den ganzen Tag über sollten wir den Song nicht mehr aus den Köpfen bekommen und ihn auch später noch gemeinsam im Bus singen…

Der Uluru bei Sonnenaufgang – here comes the sun…

Am Vormittag wanderten wir dann am Fuße des Uluru den sogenannten Basewalk, der immer wieder beeindruckende Perspektiven, neue Gesichter und Geschichten dieses uralten Monolithen offenbarte. Susan erzählte uns einige Geschichten und Mythen der Aborigines und erklärte uns, was diese in den Formationen des Uluru sahen. In jeder Falte, jedem Spalt, jeder Verfärbung sahen sie Spuren von mythischen Lehren und Geschichten, und so manche Struktur im Fels erschloss sich schließlich auch uns als großer Tatzenhieb oder angsteinflößende Fratze.

Die Felsformationen des Uluru laden geradezu dazu ein, darin Fratzen oder andere Motive zu erkennen

Die Tage waren so schnell verflogen, dass ich kaum glauben konnten, als Susan sich kurz vor dem Flughafen im Bus von uns verabschiedete und sich bei uns bedankte. „Enjoy your trip, stay safe and keep smiling.“ sagte sie. „Most important: keep smiling!“

Draußen luden wir unsere rot eingestaubten Taschen aus dem Anhänger und Susan verabschiedete sich mit kräftigem Händedruck – nur bei Mr.Incognito hielt sie kurz inne und umarmte ihn schließlich herzlich. Ein besonderer Campingtrip, den wir sicher nicht so schnell vergessen würden.

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