Immer wieder sah ich auf mein Handy. Wir bangten und zweifelten und nichts schien sich zu bessern: Für die nächsten Tage waren Regen und Sturm vorhergesagt – genau die Tage, für die wir schon vor vielen Monaten einen zweitägigen Segeltrip durch die Whitsunday Islands geplant hatten.

Absagen oder durchziehen?

Die Vorstellung, bei peitschendem Wind und verhangenem Himmel seekrank auf einem in heftigen Wellen schaukelnden Boot festzusitzen, gefiel mir ganz und gar nicht. Ob wir überhaupt nach Airlie Beach reisen sollten? Ob wir die Segeltour lieber absagen sollten, als dann vor Ort erst zu erfahren, dass sie nicht durchzuführen sei? Doch wir vertrauten lieber darauf, dass sich wie immer schon alles richten würde und beschlossen, nicht weiter darüber nachzudenken und einfach abzuwarten, wie sich alles entwickeln würde.

Die Fahrt zum Flughafen von Brisbane, wo wir unseren Wagen abgeben würden, gestaltete sich etwas abenteuerlicher als gedacht… unser Tanknadel lag schon seit einiger Zeit mehr oder weniger auf Nullposition, und vor lauter entspannter Gemütlichkeit, die wir uns in den letzten Tagen angewöhnt hatten, aber auch aus dem Gefühl heraus, dass wir nun wirklich in- und auswendig wussten, wie das mit dem Fliegen, den Mietwagen und überhaupt so lief, hatten wir uns geradezu verbummelt und keinen richtigen Zeitplan gemacht… sprich: wir waren ganz schön spät dran! Zu allem Überfluss leitete uns kurz vor der angesteuerten Tankstelle in Flughafennähe unsere Google Maps Navigation geradewegs in eine Baustelle zu einer abgespertten Straße und anschießend zurück auf den Highway in die komplett falsche Richtung… Die Spannung in unserem kleinen Toyota stieg messbar an… würden wir unseren Flieger verpassen oder gar mit leerem Tank liegen bleiben? Doch mit unter 20km Reichweite schafften wir es dann nach einigen nervenaufreibenden Extrarunden doch tatsächlich zum Flughafen und schließlich knapp aber sehr effizient in unseren Flieger nach Proserpine, wo uns direkt am Flughafen einige niedliche Wallabies erwarteten.

Wir bezogen für eine Nacht ein Zimmer in dem hübschen Coral Sea Resort direkt am Meer und spazierten dann voller Vorfreude und guter Hoffnung (das Wetter schien zu halten und die Sonne brannte heiß vom Himmel) zu dem Reiseveranstalter, um unsere letzten Instruktionen zu bekommen. Unser Katamaran „Entice“ würde um 16 Uhr mit uns und weiteren 8 Gästen an Bord ablegen… wir waren gespannt! Ich beschloss, kein weiteres Mal auf die Wettervorhersage zu sehen, sondern einfach vom Besten auszugehen und mich auf die Tour zu freuen und hoffte nun nur noch, dass wir eine nette Gruppe zusammenbekommen würden, die weder nur aus partywütigen 18-jähirgen Backpackern noch aus einer chinesischen Großfamilie bestehen würde…

Die Crew

Am Pier wartend cremten wir uns mit unserer nach Kokosnuss duftenden 50+ Sonnencreme ein, als unsere ersten Mitstreiter eintrudelten. Zunächst sprach mich ein Franzose an, ob wir auch auch wegen der Tour auf der Entice hier warteten. Es handelte sich hierbei um Michele aus Paris, der mit seiner Frau Helen seine Tochter Ines in ihrem Work-and-Travel-Aufenthalt in Australien besuchte. Die drei waren mir auf Anhieb sympathisch. Michele war hager, seine Frau und Tochter kleiner und runder und sich wie aus dem Gesicht geschnitten. Dann kam ein Pärchen in unserem Alter an… es waren Eisha, die augenscheinliche indische Wurzeln hatte, und Will aus England, aus deren Verpflegungskorb der Hals einer Proseccoflasche lugte. Das gefiel uns natürlich sofort und wir sprachen die beiden an. Jen und Lewis, die ebenfalls aus England kamen und in unserem Alter waren, sowie die Modedesignerin Hanna aus der Schweiz komplettierten unsere Runde und ich hatte das Gefühl, alle musterten sich kurz und waren sich auf Anhieb sympathisch. Schließlich trat auch unser Skipper Tim an uns heran. Er war klein und schmächtig, hatte schwarze, längere, zu einem Zopf gebundene Haare unter einer Basecap und freundliche schmale Augen. Zwar lag ein freches Blitzen in seinem Blick, dennoch wirkte er etwas scheu und verschroben. „Des“ hingegen, die unser „Decky“ war, sich also um alle unsere Bedürfnisse und Wünsche an Bord kümmern würde, war eine große, braungebraunte, blonde Niederländerin, die bereits nach zwei Stunden alle unsere Namen kannte und mit ihrer freundlichen und unkomplizierten Art alles erklärte und viel gute Laune verbreitete. Kurz nachdem wir mit unserem Katamaran den Hafen verlassen hatten, kletterten wir alle nach vorne, saßen nebeneinander an Deck unter dem weißen Segel und blickten hinaus aufs Wasser, während die Sonne bereits zu sinken begann. Mr. Incognito unterhielt sich gerade mit Michele und ich sah glücklich in die Runde, in die vielen freudigen Gesichter, mit denen wir nun in See stachen. Was für eine nette Crew!

Dieses erste Gefühl sollte sich auch weiterhin bestätigen – wir waren nicht einfach nur Fremde, die an der selben Tour teilnahmen. Viel mehr schienen wir mehr und mehr Ähnlichkeiten an uns zu entdecken. Eisha und Will beispielsweise hatten im letzten Jahr im Mai geheiratet und waren nun auf ihren verspäteten 3 monatigen Flitterwochen, für die sie sich ein Sabbatical genommen hatten… sie hatten ebenso wie wir am 21. Mai geheiratet und waren vor Australien mit dem Camper durch Neuseeland gereist… Zufall?

Der Sonnenuntergang an unserem ersten Abend war filmreif!

Nach einem schönen Sonnenuntergang unterhielten wir uns noch lange, aßen Lachs, tranken Dosenbier und genossen den ersten gemeinsamen Abend. Als wir schließlich in unsere Kabinen und Betten krochen, konnte ich durch die geöffnete Luke noch lange die Sterne über mir schaukeln sehen. Seltsames Gefühl… würde ich so wirklich schlafen können? Ein oder zweimal erwachte ich in der Nacht, spürte, wie der Katamarann sich träge im Wasser bewegte und schlief direkt wieder ein. Es müsste doch die friedlichste Art sein, in einem Boot zu schlafen, sanft von den Wellen hin- und hergewogen, dachte ich mir. Wie ein Ungeborenes im Bauch seiner Mutter…

Whitehaven Beach

Der nächste Morgen war etwas bewölkt, doch bei einem ersten duftenden Kaffee, dem leckeren Frühstück mit Joghurt, Früchten und frisch aufgebackenen Muffins, sowie den Geschichten unserer ersten Nacht an Bord eines Katamarans, vergaßen wir ganz uns wegen des Wetters zu sorgen. Tim setzte den Katamaran in Bewegung und wir brachen auf, zum Whitehaven Beach, den wir alle bisher nur von Bildern kannten. Kaum bemerkten wir, wie die Zeit verflog, immer fanden sich nette Gespräche, ebenso aber auch die Ruhe, einfach nur stumm auf das Wasser hinauszustarren und den Wind in den Haaren zu spüren. Ich war glücklich.

Mit unserem Schlauchboot setzten wir dann über und kletterten anschließend mit Des durch den Dschungel zum Aussichtspunkt über Whitehaven Beach. Blendend weißer Sand, der wie in einem Aquarell mit dem Türkis des Meeres verschmolz und sich schlierenhaft darin verlor – soweit das Auge reichte. Einige Stachelrochen schwebten unter uns durch das flache Wasser. Was für ein schöner Ort! Trotz angeblicher Quallengefahr wagte ich mich nach etwa einer Stunde am Strand und in der heißen Sonne kurz ins Meer. Eine herrliche Erfrischung an diesem Traumstrand, der zwar schon recht bevölkert war, dennoch aber nicht viel von seiner Schönheit einbüßte.

Whitehaven Beach
Aussicht auf Whitehaven

Den Nachmittag verbrachten wir damit, vom Boot aus eine Runde zu schnorcheln und obwohl mich die Fische hier nicht wirklich überraschten, so war es doch der bunte Korallengarten, der mich mit seinen hunderten lebendigen und so unterschiedlichen Ärmchen und Formen in Staunen versetzte. Während wir alle gemeinsam in unseren schwarzen Anzügen, die wir aufgrund der Quallengefahr tragen mussten, durchs Meer trieben, rief Lewis plötzlich aus: „Here´s a fish and it´s huuuuge!“ Ich lachte kurz über seine augenscheinliche Aufregung, schwamm dann in seine Richtung und versuchte etwas unter Wasser zu erkennen. Tatsächlich sah ich gerade noch die Schwanzflosse eines riesigen und bunten Fisches im etwas trüben Wasser verschwinden, den ich so noch nie zuvor gesehen hatte. Viel mehr achtete ich aber auch auf diejenigen, die das erste Mal schnorcheln waren oder einfach etwas unerfahrener umherplantschten, um ihnen im Fall der Fälle helfen zu können. Jen, die hübsche Engländerin, die heute das erste Mal schnorcheln und mit ihrem lachsfarbenen Schleifchen im Haar auch von weitem immer gut zu erkennen war, kämpfte mit den Widrigkeiten, mit undichten Masken und ihrer Scheu vor den Fischen – spuckte Wasser, schnaubte, schimpfte und strampelte, hielt aber letztendlich doch durch und war später zurück an Bord ganz selig, wie schön all die bunten Fische gewesen seien.

We are sailors now

Am Abend kochte Des für uns Gnocchi mit Salat und Knoblauchbrot und wir genossen bei einem Gläschen Prosecco unser Glück, das alles hier erleben zu dürfen. Alle saßen beisammen und redeten und auch Des kam nach einer Dusche mit einem Handtuch um die Haare zu uns und wir unterhielten uns noch lange nachdem die Sonne untergegangen war. Des erzählte uns von dem Zyklon, der vor etwa einem Jahr hier gewütet und so vieles zerstört hatte. Von ihrem Haus, das nicht mehr bewohnbar gewesen war, von den ersten Eindrücken, nachdem der Zyklon vorübergezogen war… von den geknickten Masten und den im Hafen gestapelten Booten, von gespenstig kahlen Bäumen und toten Korallen, von nackten Kakadus auf den Straßen… bestürzt lauschten wir ihren Schilderungen, aber auch ihren beeindruckenden Geschichten von ihren Begegnungen mit den Walen, die im Mondschein um ihr Boot getaucht waren. Da saßen wir, in einer kleinen Nussschale auf diesem riesigen Ozean, inmitten von all diesen Urgewalten, die uns gerade eine wunderbare ruhige Zeit mit all diesen netten Menschen schenkten. Ich war dankbar und schlief in dieser Nacht noch tiefer und entspannter als zuvor. Am nächsten Morgen saß ich mit Will an Deck und beobachtete den Sonnenaufgang. Als ich ihm sagte, wie wohl ich mich in der Nacht gefühlt hatte und wie gut ich geschlafen hatte, bestätigte er das seinerseits und lachte: „So I think we are sailors now.“

Unseren letzten gemeinsamen Vormittag verbrachten wir mit Wassersport: Schnorcheln, Stand-up-Paddling und Glasbodenkajaken standen auf den Programm und es sei nur so viel verraten: Während ich es damals beim Surfen auf Hawaii nur zu ein paar wenigen Sekunden stehend auf dem Board gebracht hatte, schien Stand up Paddling einfach mein Ding zu sein. Ab aufs Board, aufgestanden und losgepaddelt – nicht einmal fiel ich zurück ins Wasser!

We were sailing…

Die zwei Tage waren schnell verflogen… ich war froh, nicht wie einige andere mit Seekrankheit gekämpft haben zu müssen, sondern unseren Ausflug einfach genossen zu haben. Dass auch das Wetter fast perfekt mitgespielt hatte und uns die wenigen Regentropfen, die wir abbekommen hatten, kaum gestört hatten, war mal wieder fast wie ein Wunder. Als wir dann auf der Rückfahrt Richtung Airlie Beach noch Delfine neben unserem Katamaran entdeckten, war unser Segeltrip einfach nur perfekt!

Wir gingen wie eine Truppe von Freunden von Bord und konnten kaum fassen, wie sehr man an zwei Tagen zusammenwachsen kann. Wir tauschten Adressen, umarmten uns – und zogen schließlich wieder alle unserer Wege. Zwei Tage entspannten wir nun noch in dem schönen Hotel in Airlie Beach am Pool und ließen es uns gutgehen. Wir spielten mit den lustigen und sehr hübschen Kakadus, die uns ihren gelben Kamm zeigten und unseren Balkon immer wieder neugierig anflogen, tranken Cocktails mit den Zehen im Pool und tankten ganz viel Sonne. So schön es auch war, so wurde doch auch eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf immer lauter, die mich stets daran erinnerte, dass sich unsere Reise bald dem Ende nähern würde. Ich versuchte, weiter jede Sekunde zu genießen und freute mich auf unseren nächsten und letzten Stopp in Australien: Perth an der Westküste, wo wir die lustigen kleinen Quokkas besuchen wollten!

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