Das Gefühl, vor einem echten Wahrzeichen zu stehen, das man sonst nur aus den Medien kennt, kann so ernüchternd sein… als ich das erste mal das Empire State Building in New York sah, war ich geradezu enttäuscht, dass es nicht so groß war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Von der Oper in Sydney erwartete ich von Anfang an nicht viel. Wir wollten sie einfach mal gesehen haben – das war eigentlich alles.
Als wir dann abends über Sydney in den Landeanflug gingen und zwischen all den leuchtenden Punkten der funkelnden Stadt unter uns plötzlich die Segel der Oper entdeckten, fühlte ich jedoch sofort, dass es mir mit diesem Wahrzeichen Australiens anders ergehen würde. Ich war sofort begeistert, wie klar und elegant sich ihre Form selbst in der Dunkelheit vom restlichen Stadtbild abhob und wie stolz sie wirkte. Am Flughafen nahmen wir uns dann ein Taxi und freuten uns nach der langen Zeit im Camper auf das schöne Shangri-La Hotel, auf gestärkte Laken, heißes Duschen und unseren „Harbour View“. Man hatte uns nicht zu viel versprochen: Von unserem Zimmer aus konnten wir durch große Fenster den Hafen und die Oper überblicken und so gönnten wir uns nach einem anstrengenden Reisetag einen ruhigen und ganz faulen Abend bei dieser wunderschönen Aussicht. Wir setzten uns an unser Fenster und tranken mit Blick auf die Oper und den Hafen Whiskey, den wir uns mit unseren letzten Neuseelanddollars im Dutyfree-Shop in Christchurch gekauft hatten. Wir waren also wirklich in Sydney – unglaublich!
Kurz nach Sonnenaufgang schob sich am nächsten Morgen ein riesiges Kreuzfahrtschiff in den Hafen… ich war fit und fidel und sah von unserem Zimmer im fünfzehnten Stock zu, wie die Stadt im Morgenlicht erwachte und die zahlreichen Fähren, Segelboote und Yachten den Hafen durchfuhren. Doch auch wenn der erste Kaffee an unserem Panoramafenster schon besonders gut schmeckte, waren wir nun wieder voller Tatendrang, gut erholt und wollten endlich mehr von der Stadt sehen!
Wir nahmen an einem der freien Stadtrundgänge teil und spürten schnell, dass die zwei Tage, die wir für Sydney eingeplant hatten, viel zu kurz sein würden und uns der Vibe der Stadt gefiel: Sydney wirkte geschäftig, elegant, leger, fit, positiv und entspannt. Wir freuten uns über den Sonnenschein und die endlich wieder richtig sommerlichen Temperaturen und ließen uns durch die Straßen treiben.
Zwischen Didgeridoo Spielern und Gitarristen flanierten wir auch mehrfach zu der Oper, die aus der Nähe betrachtet noch eine Überraschung bereit hielt: Die Oberfläche der „Segel“ war nicht wie ich erwartet hätte, eine homogene Fläche, sondern bestand aus zahllosen kleinen Kacheln, die aus einiger Entfernung wie ein feinmaschiges Netz wirkten und aus weiterer Entfernung schon nicht mehr zu erkennen waren. Nach Einbruch der Dunkelheit spazierten wir das erste Mal um die Oper herum und hin und wieder legte ich meine Hand auf die Kacheln. Sie waren noch warm von der Sonne des Tages und fühlten sich fast ein wenig lebendig an, wie ein schlafender Riese.
Bei einer Führung durch die Oper betraten wir zum ersten Mal die Innenräume und lernten mehr über die Architektur des berühmtesten Opernhauses der Welt. Unsere deutschsprachige Führerin Monika war eine etwas schroffe, blonde Dame, die zu Beginn den ein oder anderen anpfiff, seine Tasche an der Garderobe abzugeben oder kompakter zu packen: „Da passen ja gut drei Liter Milch rein – das geht nicht…“ raunte sie einen Herrn mit einem Jutebeutel an. Alle Teilnehmer, die bereits ihre Headsets auf den Ohren und so diesen Spruch von ihr deutlich mitangehört hatten, sahen sich etwas belustigt und fragend an… das konnte ja was werden!
Dann aber führte uns Monika mit viel Hintergrundwissen und Enthusiasmus durch die Oper und vermittelte uns Einiges über deren Geschichte und Architektur, die auf einem visionären Entwurf des dänischen Architekten Jørn Utzon beruht. Selbst in den Konzertsaal durften wir einige Minuten hineinschlüpfen, obwohl dort gerade geprobt wurde und die Sängerin Paloma Faith mitsamt Orchester auf der Bühne stand. Es war beeindruckend, nicht nur die Architektur der Oper zu sehen, sondern auch die extrem gute Akustik zu erleben. Paloma Faith performte ihren Hit „Cry Baby“ und aus den Augenwinkeln sah ich, wie unsere „gestrenge Monika“, die hinter allen Gästen ihrer Gruppe in der letzten Reihe im Dunkeln stand, wie ein kleines Mädchen mit strahlenden Augen mitwippte.
Als wir wieder aus dem dunklen Konzertsaal traten, durchschritten wir gemeinsam weiter die Aufgänge und Foyers der Oper. Die großen Glasflächen wirkten offen und futuristisch wie ein Raumschiff, aber ebenso elegant und gewaltig wie ein Luxusliner. Wie ein Skelett umfassten uns die gradlinigen Strukturen und die Sonne warf scharfkantige Schatten auf den weichen, violetten Teppich unter unseren Füßen. Lichtdurchflutet und leicht wirkte die Oper und ich staunte wie beeindruckend Jørn Utzon seine Vision der wehenden Segel realisert hatte.
Die Projektionen von illustrierten Filmszenen auf zwei der Segel am späteren Abend bildeten den krönenden Abschluss des überraschenden Eindrucks, den die Oper bei uns hinterließ. Der Abschied von Sydney fiel schwer – zu stark war das Gefühl, dass die Stadt noch so viel zu bieten hatte und wir in der kurzen Zeit nur einen Bruchteil hatten kennenlernen können. Immerhin waren wir noch mit der Fähre gefahren und hatten uns zwei „schicke“ Outdoor-Hüte gekauft, die uns bei unserem nun folgenden Ausflug ins Outback schützen würden.
Doch sollte sich noch einmal die Möglichkeit ergeben, werden wir gerne wiederkommen in die Stadt der weißen Segel!
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