Nach dem wunderschönen Sonnenuntergang war die Nacht am Lake Pukaki unglaublich still… so still, dass es manchmal fast etwas unheimlich wurde. Obwohl wir in Sichtweite der Straße standen, hörten wir die wenigen Autos kaum und hatten unseren Platz am See ganz für uns. Auch am nächsten Morgen konnte ich kaum glauben, dass wir dieses Fleckchen für uns allein hatten… es war kalt aber wunderschön und als oben auf der Straße einige Rennradfahrer vorüberfuhren, winkten sie uns fröhlich zu – und wir mit unserem ersten Kaffee in den Händen zurück. „Ich bin so glücklich!“ sagte ich zu Mr. Incognito und konnte meinen Blick kaum von dem türkis strahlenden See abwenden.

Nach dem Frühstück wollte ich diesen besonderen Ort nutzen, um vor unserer Weiterfahrt noch ein paar Aufnahmen zu machen – undzwar aus der Luft! Ich hatte bereits aus Deutschland eine kleine Drohne mitgebracht, die uns seitdem auf unserer Reise begleitete. Das erste Mal hatte ich sie mit zittrigen Händen auf Big Island über einem schwarzen Lavafeld fliegen lassen und anschließend immer mal wieder hier und dort, wo es ausnahmsweise mal nicht verboten oder wegen Stromleitungen, viel befahrener Straßen, starken Winden oder nahe gelegenen Heliports unmöglich war. Natürlich boten sich die besten Gelegenheiten für einen Flug auch immer dann, wenn „Sparky“ gut verpackt im Auto oder in der Ferienwohnung lag, während ich seufzend an der atemberaubendsten Küste, auf der absolut filmreifen Klippe oder an dem malerischsten Bilderbuchstrand stand und es so perfekt hätte sein können, sie hier fliegen zu lassen, um ein paar schöne Aufnahmen zu machen. Ich war auch noch nicht wirklich routiniert und eher noch dabei, meine Drohne immer besser kennenzulernen – also wurde es höchste Zeit für einen weiteren Flug!

Bereits am Abend zuvor hatte ich meine wahrscheinlich besten Drohnen-Aufnahmen vom Sonnenuntergang, den glühenden Bergen und dem in allen Rottönen leuchtenden See gemacht und so wollte ich an diesem Morgen den Lake Pukaki gern auch nochmal in seinem ganz klassischen Türkis festhalten.

Der Sonnenuntergang am Vorabend war wunderschön gewesen

Schnell hatte ich „Sparky“ startklar gemacht, ließ sie am Kiesstrand starten und für eine beeindruckende Perspektive in die Höhe schnellen. Ich verfolgte das Bild auf meinem iPhone und sah mit zunehmender Höhe, wie der Mount Cook hinter den Baumwipfeln des angrenzenden Waldes emporstieg. Wow – was für eine Landschaft, das würden Aufnahmen werden…!

Doch mit einem Mal schnellte sie nicht mehr nur in die Höhe, sondern flog plötzlich in eine völlig unvorhergesehene Richtung davon, als schien sie nun ihr ganz eigenes Ziel zu verfolgen. Hektisch und etwas hilflos blickte ich von meinem iPhone in den Himmel und zurück… was zum Teufel geschah da? „Komm zurück, komm zurück…“ zischte ich immer wieder und versuchte verzweifelt, sie wieder unter Kontrolle zu bringen. Einen Moment lang schien sie wieder zu reagieren und bewegte sich langsam zurück in meine Richtung, doch als ich sie nun noch etwas weiter zurück auf eine geringere Höhe bringen wollte, verlor ich sie im blendenden Gegenlicht der immer höher steigenden Sonne und vor den dunklen Baumwipfeln des angrenzenden Waldes aus den Augen… Ich hörte ihr Surren in der Luft, versuchte  ihre Perspektive auf dem Handy zu erkennen, doch das Bild stockte, das Signal brach ab, der Bildschirm blieb schwarz und dann geschah es: Ich hörte, wie ihre kleinen Propeller aufhörten, sich zu drehen… ihr Surren verstummte. Verdammt! Nein, nein, nein…! Hektisch drückte ich auf der Fernbedienung herum, doch weder die Joysticks noch irgendein Button schienen irgendetwas zu bewirken… Schützend hielt ich mir die Hand über die Augen und sah mich panisch um.  Es war absolut still. Sie konnte doch nicht einfach verschwinden! Ich rief nach Mr. Incognito, der in unserem Camper gerade den Frühstückstisch abbaute und mich zunächst gar nicht hörte. „Sie ist weg! Sie ist weg! Ich hab sie verloren!“ rief ich immer wieder in die Stille. Endlich öffnete sich die Campertür und Mr. Incognito sah mich fragend an. „Ich habe sie verloren.“ wiederholte ich langsam und traurig.

Nie hätte ich gedacht, dass ich an einem der schönsten Orte Neuseelands stundenlang mit Mr. Incognito das kniehohe Gras durchkämmen, die Baumwipfel mit dem Fernglas absuchen und sogar den Kiesstrand immer wieder kontrollieren würde, nur um meine Drohne wiederzufinden. Wir waren das an die Straße grenzende und völlig zugewucherte Waldstück abgelaufen und zahlreiche orange Farbpunkte hatten uns immer wieder hoffen lassen, dass es sich um meine kleine rote Spark handelte… doch bei näherem Betrachten hatten sie sich nur als gemeine Fliegenpilze herausgestellt. Immer und immer wieder lief ich durch das Gestrüpp, spähte nach roten Punkten in den Baumwipfeln und war den Tränen nah. Hätte ich doch wenigstens die Bilder vom letzten Abend und dem traumhaften Sonnenuntergang vor dem Flug gesichert! Doch diese würde ich wohl nun zusammen mit meiner „Sparky“ aufgeben und hier zurücklassen müssen…

Time to say goodbye

Nach etwa drei Stunden brachen wir die Suche ab. Immer noch lag der Lake Pukaki in strahlendstem Türkis vor uns und ich konnte kaum begreifen, wie einer der perfektesten Momente unserer Neuseelandreise an diesem Tag so schnell  in so ein trauriges Ereignis hatte umschlagen können. Ermattet betrachtete ich von einer Anhöhe den See und unseren Camper – ein Bild wie aus einer Werbebroschüre: Perfekt.

In einer kleinen Bucht des Lake Pukaki hatten wir unsere Nacht verbracht. Alles schien perfekt…

Und eines nahm ich mir in diesem Moment ganz fest vor: Ich wollte mich immer, wenn ich in Zukunft an den Lake Pukaki denken würde, an dieses unglaublich schöne Bild und unsere wunderbare Zeit hier erinnern und nicht an die verlorene Drohne oder dieses traurige Gefühl, sie verloren zu haben. Ich musste das loslassen! Den Wunsch, sie wiederzufinden, den Gedanken daran, wieviele Aufnahmen ich noch mit ihr hatte machen wollen, die Wut darüber, welchen Wert ich verloren hatte und wie kurz der Spaß mit ihr war.

Vielleicht war es ja eine Lektion, die ich hier heute lernen sollte? Wie sehr versuche ich mich oft an allem möglichen festzukrallen. Ich will alles sehen, festhalten, erleben, perfektionieren – bloß nichts verpassen. Doch vielleicht wäre es oft so viel besser, einfach loszulassen? Das hatte ich mich auf dieser Reise immer wieder und an diesem Tag ganz besonders gefragt.

Ob es die vielen Orte in Neuseeland oder auf Hawaii waren, die ich hatte sehen wollen und die wir nun wegen des Wetters oder unserer geänderten Route nicht hatten besuchen können oder ob es die vielen Momente waren, in denen es mir einfach nicht gelungen war, das Springen der Wale, die um uns tauchenden Delphine, unsere erste Surfstunde oder andere besondere Momente mit der Kamera festzuhalten… sollte ich mich wirklich über all das ärgern, wo unsere Reise doch so voller wunderschöner Momente und unvergesslicher Ereignisse war, an die ich mich mein Leben lang erinnern würde?

Meine Aufnahmen des Sonnenuntergangs würde ich wohl nun niemals sehen können – doch meine Erinnerung daran war so lebendig und gehörte nur mir. Und jeder Ort, den wir auf unserer Reise nicht besucht hatten, hatte uns die Zeit geschenkt, etwas anderes sehen zu können. Wieviel besser war es doch, sich daran zu erfreuen und sich darauf zu konzentrieren! Und wie dankbar war ich doch für jeden dieser vielen Augenblicke, die ich in den letzten Monaten erleben durfte!

Dieser Gedanke würde mich in den nächsten Tagen begleiten. Auch als ich mich etwa eine Woche später in Christchurch in einem Pfandhaus wiederfand, wo ich meine so liebgewonnene Gitarre auf die Theke legte und schließlich nach längerem Zögern doch verkaufte, anstatt zu versuchen, sie umständlich und teuer nach Deutschland zu verschicken. Es tat weh, sie abzugeben, doch all die schönen Stunden, die ich auf ihr gespielt und die Songs, die ich auf ihr gelernt hatte… all das würde ich nicht vergessen – und die Erinnerungen hingen nicht an diesem hölzernen Objekt. Auch hier war es wohl einfach an der Zeit, loszulassen. Ich hoffte sehr, dass sie wieder jemanden finden würde, dem sie so viel Freude bereiten würde, wie mir in den vergangenen Wochen. „Sell it to someone nice“ sagte ich noch zu dem Angestellten des Pfandhauses, bevor ich mich umdrehte, den Laden verließ und Mr. Incognito und mir von dem Erlös zwei große Eis spendierte.

So schwer es nun auch war, den Lake Pukaki hinter uns zu lassen, obwohl wir wussten, dass irgendwo in einem Wipfel oder hinter undurchsichtigem Gestrüpp meine Sparky zurückblieb, so sehr versuchte ich auch nach vorn zu sehen… und dankbar jede weitere Sekunde zu genießen. Ich schloss ein Kapitel unserer Reise und versuche mich auf weitere zu freuen. Zum Beispiel unseren nächsten Stopp – am Lake Tekapo!

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