Unsere Zeit auf Maui war geprägt von Premieren: Das erste Mal kajaken auf dem offenen Meer, das erste Mal so nahen Kontakt zu Walen, das erste Mal Pineapplewine trinken, die erste Surfstunde und zum ersten Mal eine Eggfruit essen – und Letzteres sicher auch zum letzten Mal – viele neue Erfahrungen in kurzer Zeit! Doch oft saßen wir auch nur am Ufer, den Blick zum Horizont gerichtet, und warteten darauf, wieder eine Flosse zu entdecken und einen der vielen Wale zu Gesicht zu bekommen – und meist dauerte es tatsächlich nicht allzu lang, bis sie sich wieder zeigten.

Was bleibt?

Hin und wieder aber frage ich mich, wie ich all die Eindrücke verarbeiten werde und was von all dem bleibt. Woran werde ich mich morgen, nächste Woche oder gar im nächsten Jahr noch erinnern können? Was von all den wunderbaren kleinen und großen Erlebnissen und Begegnungen wird für immer zu meinen Erinnerungen zählen und was werde ich schon bald vergessen haben? Oft versuche ich mir Dinge ganz bewusst einzuprägen – wie der nasse Eukalyptuswald am Hang des Haleakala nach dem Regen duftete oder wie sich in unserer Unterkunft auf der Plantage in der ersten Nacht die Geräusche von dumpfen Regentropfen, entferntem Donnern und dem Pfeifen und Schnalzen von Geckos und Vögeln zu einem unglaublich friedlichen, entspannten Klangteppich verwob. Wie sich der warme Sand am Strand anfühlte, als ich meine Zehen hineindrückte, wie voll und endlos der Sternenhimmel auf dem Rückweg von Hana schien oder wie das Singen der Wale leise und fast heilig an die Meeresoberfläche drang. Ich erinnere mich an die stechend silbrigen Augen eines Mannes, der uns in Lahaina freundlich aber auf eine eigentümliche Art ansprach und an die Supermarkt-Kassiererin namens Vicky, mit der ich aufgrund unseres gemeinsamen Namens ins Gespräch kam… doch wie viele Geräusche, Bilder, Worte, Menschen und Eindrücke würden sich nicht einbrennen, sondern vorüberziehen? Und was würde von ihnen bleiben?

Den Moment leben

Oft habe ich Angst, dass ich all das vergessen könnte… dann mache ich endlose Fotoserien – manchmal sogar mit mehreren Kameras vom selben Motiv – und stelle immer wieder frustriert fest, dass es einfach nicht gelingt. Dass ich diesen Moment, das einmalige Licht oder das Gefühl nicht einfangen kann. Immer öfter lasse ich daher inzwischen die Kamera sinken und versuche nur noch, den Augenblick zu inhalieren und alles in mich aufzunehmen, was ihn so einzigartig macht: Die Gerüche in der Luft, den Wind auf der Haut, die Farben und Schattierungen, die Geräusche um mich herum oder das Gefühl unter meinen Füßen. Doch so sehr ich es auch versuche und diesen Moment genieße – er zieht meist viel zu schnell vorbei und beginnt dann bereits zu verblassen.

Es werden natürlich immer die besonderen und ungewöhnlichen Geschichten sein, die in Erinnerung bleiben. Geschichten, die wir immer wieder erzählen werden und daher auch nicht so schnell vergessen. Wie die Begegnung mit Donald und Cindy…

Wer hat die Kokosnuss geklaut?

An unserem vorletzten Tag auf Maui fuhren wir zum berühmten Ho’okipa Strand, der als Surferhotspot gilt und wo wir den waghalsigen Wellenreitern etwas zuschauen wollten. Direkt an der Strandzufahrt gab es einen kleinen Früchtestand, der mit „icecold coconuts“ warb. Damit kann man uns immer locken! Und so kauften wir für 5 Dollar eine Kokosnuss, die uns der Mann der Verkäuferin zwar mit einer Art Machete aufwendig zurechtstutzte, mit gekonntem Schlag öffnete und mit einem Strohhalm versah, die aber bereits nach zwei Schlücken leer war. Das war ein wirklich kurzer Spaß –  und wir waren ziemlich enttäuscht.

Hier beobachteten wir die Surfer, wie sie sich an den heranrollenden Wellen versuchten.

Unser Glück war, dass wir zudem auch zwei kleine rote Bananen gekauft hatten, die wir nun, nachdem wir den Surfern lange genug zugesehen hatten, auf dem Rückweg zum Auto mit uns herumtrugen. Da sprach uns plötzlich ein braungebrannter junger Kerl an, der im Schatten an einem Picknicktisch saß und ebenfalls die Surfer beobachtet hatte. Er wollte wissen, wo wir die Bananen gekauft hätten, da er rote Bananen noch nie gegessen hatte und auch mal probieren wollte. Ich erzählte ihm von dem Früchtestand, warnte ihn aber vor den Kokosnüssen. Etwas zerknirscht berichtete ich von unserer enttäuschenden Erfahrung. Er hielt einen Moment inne und betrachtete die leere Kokosnuss in unseren Händen. „I can get you one for free!“ sagte er dann plötzlich und begann in seinen Hosentaschen zu kramen. Da ich auf dem Parkplatz einige Pickups gesehen hatte, die frische Kokosnüsse auf der Ladefläche hatten, ging ich davon aus, dass der Typ, der sich später als „Donald“ vorstellen würde, seinen Autoschlüssel hervorsuchen und uns eine Kokosnuss aus seinem Wagen holen würde. Stattdessen kramte er zwei Hände voller Muscheln und ein aufgewickeltes Stück Kordel aus seiner Tasche, breitete alles auf dem Picknischtisch aus und begann davon zu erzählen, welche der Muscheln er am liebsten sammelte, weil man so schöne Ketten daraus machen konnte. Ich seufzte. Anscheinend doch nur ein irgendwie verrückter wenn auch sympathischer Kerl, der ein bisschen in anderen Sphären schwebte und die Geschichte mit der Kokosnuss schon wieder ganz vergessen hatte… aber weit gefehlt!

Plötzlich sprang er – mit nun geleerten Hosentaschen – drauflos und lief zu der nächsten Kokospalme, die direkt neben dem Parkplatz einige Meter von uns entfernt stand. Und kaum hatten wir uns versehen, war er bereits dabei, geschickt hinaufzuklettern! Wir trauten unseren Augen kaum – er wollte uns doch nun wohl nicht wirklich eine Kokosnuss pflücken…? Da fiel die erste bereits mit einem dumpfen Schlag zu Boden, eine zweite und dritte folgten. Zwei waren beim Aufprall aufgeplatzt und hatten etwas von ihrem Wasser verloren, die dritte hob Donald nun, nachdem er wieder hinuntergeklettert war, mit strahlenden Augen auf und überreichte sie uns. Ich war sprachlos!

Donald springt die Palme hoch – das müsste man können!

Und dann stand mit einem Mal auch ein ebenso braungebranntes und hübsches Mädchen in einem blumigen Kleid und mit sonnengebleichten Haaren vor uns. Sie meinte, sie hätte ein paar Kokosnüsse fallen hören und hätte schon vermutet, dass ihr Freund da wieder am Werk gewesen sei. Cindy, wie Donalds Freundin sich dann vorstellte, hatte auch ein spitzes Metallwerkzeug dabei, mit dem er uns flink zwei Löcher in die Kokosnuss bohrte und sie uns mit der Aufforderung zurückgab, daraus zu trinken. Es funktionierte! Die Kokosnuss war noch jung und somit prall gefüllt mit dem köstlichen Kokoswasser, das Mr. Incognito und ich nun immer abwechselnd aus der grünen Frucht sogen.

Die geschenkte Kokosnuss schmeckte gleich doppelt so gut!
Das, was bleibt

Immer noch erstaunt, dass Donald „einfach mal eben so“ für uns eine Palme hochgeklettert war und uns so eine Kokosnuss „for free“ besorgt hatte, unterhielten wir uns noch eine Weile mit den beiden, die wohl aus Kalifornien und Nebraska kamen, für drei Monate auf Maui waren und noch nicht genau wussten, wie genau ihre Reise danach weitergehen würde…

Nachdem Donald uns sogar mit ein paar Brocken Deutsch überrascht hatte, verabschiedeten wir uns langsam, bedankten uns mehrmals für die immer noch recht volle Super-Kokosnuss, die er uns da gepflückt hatte, und setzten fröhlich und beschwingt – mit einem Lächeln auf den Lippen und einer glucksenden Kokosnuss in den Händen – unsere Reise fort.

Ich hoffe, ich werde mich noch lange daran erinnern können, wie sehr ich mich über dieses unerwartete Geschenk gefreut habe… und vielleicht werde ich ja auch in einem Moment daran zurückdenken, wenn ich – einfach so – einem Fremden eine Freude bereiten kann.

Ist es am Ende vielleicht auch genau das, was von all diesen Erlebnissen bleibt? Selbst wenn die konkreten Erinnerungen mit der Zeit verblassen oder in Vergessenheit geraten, so bleibt doch dieses wunderbare Gefühl, immer wieder (vom Leben) beschenkt zu werden. Genau dieses Gefühl ist es, das wir hier jeden Tag spüren – und uns hoffentlich auch weiter bewahren können.

Von Maui werden uns nun aber zunächst sehr viele eindrückliche Bilder und lebendige Erinnerungen begleiten und wir sind dankbar für alles, was wir hier erleben durften. Danke, liebe Wale! Danke, Zack! Danke, Donald und Cindy! Danke Maui! … oder wie man hier auf Hawaii sagen würde: Mahalo, Maui!

Comments are closed.