Ein Freund hatte mir in Deutschland vor unserer Reise mit auf den Weg gegeben, dass ich mich jeden Tag einer neuen Herausforderung oder Angst stellen sollte. Immer wieder dachte ich an seine Worte… ob in dem Moment, als ich auf Big Island der glühenden Lava gegenüberstand und ihre Hitze in jeder Pore spürte oder als die Buckelwalgruppe direkt auf unser kleines Kayak zusteuerte…

Nun wollte ich mich hier auf Maui einer weiteren Herausforderung stellen: Wellen! Denn so sehr ich das Meer liebe, so gerne ich schnorchele und schwimme und stundenlang der Gischt zusehen kann, wie sie über die Felsen peitscht… sobald im Wasser etwas größere Wellen auf mich zukommen, bin ich ganz schnell wieder draußen und betrachte aus sicherer Entfernung vom Strand aus die walzenden und plötzlich so bedrohlichen Wassermassen – und wie Mr. Incognito fröhlich darin herumspringt, während ich mal wieder die Flucht ergriffen habe. Meist traue ich mich dann zwar wieder hinein, oft aber nur, bis die nächste größere Welle Kurs auf mich nimmt – und ich wieder aus dem Wasser hechte. Das ist wohl auch der Grund, warum ich die Malediven so liebe… das Meer fühlt sich dort meist wie ein großes Planschbecken an… die Wellen sind eher schaukelnde Wogen und alles wirkt sanft und friedlich.

Nun aber waren wir ja auf Hawaii, dem Ort, an dem das Surfen geboren wurde! Natürlich wollten auch wir daher unbedingt einmal unser Glück auf dem Surfboard versuchen… schon vor unserer Abreise hatte ich lange recherchiert, um einen Surflehrer zu finden, bei dem ich mich sicher fühlen würde und der mich als totalen Angsthasen nicht überfordern oder in die Flucht schlagen würde.

Als wir an einem Morgen, für den eigentlich Regen und Sturm vorhergesagt waren, an dem Strandabschnitt ankamen, an den uns „Zack“, unser Surflehrer, bestellt hatte, fuhr ein großer, weißer Pickup mit drei Surfboards direkt vor uns auf den sandigen Parkplatz. Während wir uns noch etwas unsicher umsahen, ob wir den richtigen Treffpunkt erwischt hatten, sprang bereits jemand strahlend aus dem Pickup und winkte uns zu. Es war Zack und ich freute mich zwar, weil er direkt entspannt und sympathisch auf mich wirkte, mir wurde aber auch klar, dass es jetzt ernst wurde und ich irgendwie die nächsten 1,5 Stunden mit einem Surfbrett in den Wellen überleben musste.

Zack, ein paar Jahre älter als ich und ursprünglich aus Kalifornien, hatte selbst mit 5 Jahren mit dem Surfen begonnen und mit 12 seine ersten Meisterschaften gewonnen. Er hatte bei verschiedenen Surfweltmeisterschaften vordere Plätze belegt und als Profi die Welt bereist. Seit 15 Jahren war er nun hier auf Maui und ich war froh, dass unsere Entscheidung für unsere erste Surfstunde auf ihn gefallen war.

Plötzlich ging alles ganz schnell – Zack warf uns ein paar Rashguards zu – langärmige Surfshirts, die wir überstreiften, um uns vor Hautreizungen beim Kontakt mit dem Surfbrett zu schützen – und zeigte uns unsere Boards, die bisher noch sicher im Sand lagen. Während wir schonmal die Paddelposition auf dem Bauch liegend darauf einnahmen und die ersten Trockenübungen absolvierten, erklärte uns Zack in gefühlten fünf Minuten, wie es da draußen gleich ablaufen würde. Erstmal rauspaddeln, bei Ansage wenden, rauf auf die Welle und dann auf die Füße kommen und Balance halten! Haha, klang ja ganz einfach!

Ab ins Wasser!

Kaum hatten wir diesen groben Ablauf verstanden, war auch schon Schluss mit den Trockenübungen. Zack schnappte sich seinen Schlapphut und forderte uns auf, unsere Boards zu nehmen und ihm zu folgen. Ab gings ins Wasser! Schon nach wenigen Sekunden war er weit hinausgepaddelt, während ich überhaupt noch versuchte, auf das schaukelnde Ding draufzukommen… das konnte ja heiter werden!

Dann war der Anfang geschafft – jetzt hieß es paddeln was das Zeug hielt! Auf dem Bauch liegend immer abwechselnd mit rechtem und linkem Arm, bis wir es zu der Stelle geschafft hatten, an der Zack schon auf uns wartete. Schon nach einigen wenigen Armschwüngen begannen meine Muskeln zu brennen…  wie sollten wir das anderthalb Stunden durchhalten? Doch an Aufgeben war natürlich nicht zu denken und so paddelte ich weiter.

Und da waren wir – ich, meine Angst und die Wellen, die sich vor mir auftürmten, als hätten sie auf mich gewartet. Ich versuchte mir – bereits außer Atem – Mut zuzuflüstern und nicht hinzusehen, wie sich die dunklen Wasserwände vor meinem Board aufbauten. Einfach weiterpaddeln, sagte ich mir.  Und dann, wie Zack uns gezeigt hatte, frontal auf die Welle zusteuern und den Oberkörper aufrichten, so dass sie unter einem hindurchglitt… und es gelang! Ich atmete durch, die erste größere Welle war geschafft! Doch auf die erste Welle folgte natürlich eine zweite, eine dritte…  und viele mehr. Aber auch diese überstand ich und kam endlich bei Zack und Mr. Incognito an, die beide bereits lässig auf ihrem Board sitzend im Wasser schaukelten und sich unterhielten. Das hatte also schonmal geklappt!

Die erste Welle

Dann war es soweit: Mr. Incognito sollte seine erste Welle in Angriff nehmen! Gemeinsam drehten sie das Board in die richtige Richtung und die Welle kam, baute sich auf, schob sich unter die beiden… Mr. Incognito paddelte und gab alles, aber auch Zack schob von hinten kräftig an und versetzte dem Board schließlich noch einen kleinen Schubser. Ich konnte kaum hinsehen… doch Mr. Incognito stand! Noch ein wenig wacklig, aber er surfte… auf einer Welle… auf Hawaii! Ich jubelte – unglaublich!

Dann war ich dran. Ob ich es auch gleich beim ersten Mal schaffen würde? „Okay Victoria, let´s get you online“ sagte Zack und ich rückte mich auf meinem Board in Position. „Ready? Okay…  now… paddle!“ Ich paddelte los, spürte den kleinen Stoß, den mir Zack gab und da war sie, meine erste Welle! Sie hob mich empor und plötzlich packte mich ihr Schub und ich spürte, wie ich auf ihr dahinflog. Jetzt hochdrücken und auf die Knie, einen Fuß aufstellen und hinstellllll…. ich fiel. Das Wasser umwirbelte mich und dann traf mich mein Board dumpf am Kopf. Ich tauchte auf, schnappte nach Luft, zog das Board an der Sicherungsleine, die an meinem Knöchel befestigt war, an mich heran und hielt mich an ihm fest. Ich lebte. Ich war für einen kurzen Moment auf meiner erste Welle gesurft. Ich war gefallen und wieder aufgetaucht. Weiter hinten sah ich Zack und Mr. Incognito auf die nächste Welle warten und hörte sie lachen. Alles war gut.

Also schwang ich mich wieder aufs Board, was einfacher war als befürchtet, und setzte mich wieder in Bewegung. So versuchten wir einige Male, mal besser, mal schlechter, uns auf unseren Boards zu halten, während die Wellen sich unter uns drückten und uns kraftvoll voranschoben. Wir balancierten, wir wackelten, wir standen, wir fielen. Hin und wieder schluckte ich eine Portion Meerwasser und immer erschöpfter wurde es immer schwerer wieder auf das Board zu klettern und erneut hinauszupaddeln, um auf die nächste gute Welle zu warten. Aber es war ein unbeschreibliches Gefühl, den Wellen hier draußen so zu begegnen und nicht in ihnen unterzugehen. Immer wieder aufzutauchen, sich zurück auf das Board zu schwingen und hinauszupaddeln.

Durchatmen

Dann kam endlich die ersehnte Pause. Unsere Arme brannten und wir freuten uns, als eine Weile lang keine Wellen kamen, auf denen sich ein Surfversuch gelohnt hätte. Wir saßen alle drei auf unseren Boards, schaukelten auf den Wogen und unterhielten uns. „Not so bad, the view from my office!“ sagte Zack mit einem Augenzwinkern und wir sahen uns um. Vor uns das offene Meer und hinter uns die sanften grünen Hügel von Maui, auf die nun einige Sonnenstrahlen fielen, während es langsam warm zu regnen begann. Und plötzlich war am Horizont vor uns eine schwarze Silhoutte zu sehen, die sich platschend aufs Meer warf – ein Wal! Fast gleichzeitig hob sich auch in einer anderer Richtung eine große Flosse aus den Wellen, als wollte sie uns zuwinken. Und auch ein dritter wuchtete sich noch etwas näher zu uns aus dem Wasser. Das Schauspiel hielt an – mehrere Male sprangen die Riesen aus dem Wasser und wir konnten diese unfassbare Szenerie kaum begreifen –selbst Zack staunte. Als Mr. Incognito dann noch eine Schildkröte im Wasser entdeckte, war unser erstes Surferlebnis fast perfekt.

In BALANCE

Ich konnte mich zwar nie länger als ein paar Sekunden auf dem Board halten, aber das machte mir nichts aus. Meine Angst vor den Wellen für heute überwunden zu haben, auch wenn mich eine nochmal ordentlich erwischte und mich in den Schleudergang schickte, war überragend, und Zack gab mir ein wunderbares, starkes Gefühl, dass ich auf dem richtigen Weg war, solange ich nur Spaß hatte und an mich glaubte. Als wir bei einer kleinen Übung im Wasser nochmal das Hinstellen auf dem Board übten, half er mir zunächst mit starker Hand auf, ließ mich dann aber los und gab mir seine Hand selbst dann nicht, als ich hilfesuchend danach greifen wollte, weil ich glaubte vom Board zu kippen. Stattdessen sprach er mir Mut zu. „You got it!“ sagte er immer wieder und korrigierte meine Haltung, bis ich meine Balance wiedergefunden hatte. Als ich spürte, wie mein Stand etwas an Sicherheit gewann und ihn anblickte, sah ich sein Grinsen. Er hob die Hand. „I told you, you got it! And now, give me five!“ Ich schlug in seine nasse Hand ein und wir lachten. Was für ein wunderbarer Tag!

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